Temu is revolutionizing online shopping with astonishingly low prices, such as fifty hair ties for 87 cents and a mattress for 66.14 francs. The platform, which offers free shipping and returns, has gained popularity in Europe, especially in Switzerland and Germany. While it employs innovative strategies like gamification and just-in-time production, Temu faces criticism for questionable sales tactics and regulatory concerns. Despite this, its rapid market expansion and vast marketing efforts have established it as a significant player in e-commerce.
Temu: Die Preisrevolution im Online-Shopping
Fünfzig Haargummis für 87 Cent, ein Plastik-Weihnachtsbaum für 6,99 Franken und eine Matratze für 66,14 Franken – Temu lockt mit Angeboten, die kaum zu fassen sind. Beim Öffnen der App warten bereits zahlreiche Rabatte und der Hinweis: “Beeilen Sie sich! Nur begrenzter Vorrat! Ihr Favorit ist fast ausverkauft!” Der Versand aus China? Kostenlos. Rücksendungen? Ebenfalls kostenlos.
Willkommen in der Welt von Temu, dem neuen Liebling der Schnäppchenjäger. Mit dem Slogan “Shoppe wie ein Milliardär” verspricht die Plattform ein Einkaufserlebnis, bei dem man sich alles leisten kann, da die Preise so niedrig sind, dass man nicht einmal darauf achten muss.
Innovative Strategien und schnelle Expansion
Temu ist die zweite App aus China, die nach dem Modeanbieter Shein das Online-Shopping revolutioniert. Manche mögen darüber den Kopf schütteln: Ein weiteres Unternehmen, das No-Name-Produkte in viel Plastik verpackt und um die halbe Welt verschifft? Doch Temu trifft den Nerv der Zeit.
Seit eineinhalb Jahren ist die App in Europa verfügbar, und bereits jeder dritte Schweizer und jeder vierte Deutsche berichtet von positiven Erfahrungen. Die Beratungsfirma Carpathia schätzt, dass Temu allein im Jahr 2024 in der Schweiz einen Umsatz von 650 bis 750 Millionen Franken generieren wird. In Zeiten sinkender Kaufkraft und wachsender Digitalisierung bietet die Plattform genau das, wonach viele Verbraucher suchen.
Doch Temu hat auch seine Schattenseiten. Es gibt Berichte über willkürliche Rabatte, Tricks mit Zoll und Steuern sowie manipulative Designs, die Kunden zum Kauf verleiten sollen. Wirtschaftsverbände fordern eine Regulierung der Plattform, und in der EU läuft ein Verfahren wegen des Verdachts auf unlauteren Wettbewerb. Viele wünschen sich, Temu einfach zu verbieten und abzuschalten.
Die Erfolgsgeschichte von Temu beruht jedoch nicht nur auf fragwürdigen Verkaufsstrategien und dem Ausnutzen von gesetzlichen Schlupflöchern. Das Geschäftsmodell ist zwar umstritten, aber auch eine echte Innovation. Hier sind die Gründe:
Temu bietet Preise, die selbst andere Discounter wie Aliexpress nicht unterbieten können. Ein Grund dafür sind die extrem kurzen Lieferketten. Während in traditionellen Einzelhandel ein Produkt durch mehrere Zwischenhändler zum Verkäufer gelangt, bündelt Temu zuerst die Bestellungen und leitet sie gebündelt an die Produktionsstätten in China weiter. Die Fabriken produzieren nur bei konkreter Nachfrage. Diese Just-in-Time-Produktion wird durch den individuellen Kundenbedarf optimiert.
Temu sieht sich als Marktplatz ähnlich wie Amazon, Zalando oder Ricardo – mit einem entscheidenden Unterschied: Auf realen Marktplätzen setzen Verkäufer ihre eigenen Preise fest. Nicht so bei Temu. Hier bestimmt die Plattform die Produktpreise und wählt den günstigsten Anbieter über ein Bietverfahren aus. Hersteller akzeptieren die teils extrem niedrigen Preise in der Hoffnung, die geringen Margen durch hohe Stückzahlen auszugleichen.
Eine weitere Innovation ist die Gamification. Temu setzt auf Bonus- und Belohnungsprogramme, um Kunden regelmäßig in die App zu locken. Mini-Spiele, wie das Drehen eines Glücksrads oder das Füttern von virtuellen Fischen, sorgen dafür, dass die Kunden aktiv bleiben. Je aktiver der Kunde, desto höher die Wahrscheinlichkeit, kleine Rabatte zu erhalten.
Shopping wird so zum Spiel, die App zum Zeitvertreib, ähnlich wie bei sozialen Netzwerken wie Instagram und TikTok. Besonders jüngere Kunden schätzen diese interaktive und ständig verbundene Erfahrung. Im Gegensatz dazu ist das Schweizer Online-Shopping oft eher langweilig.
Ralph Hutter, Dozent an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften und Experte für Online-Handel, erklärt: “Die Chinesen haben verstanden, wie man dem Online-Shopping eine soziale Dimension verleiht.” Das Hauptziel ist es, die Verbraucher möglichst lange auf der Plattform zu halten, und dass sie am Ende etwas kaufen, ist die logische Konsequenz.
Die Geschwindigkeit, mit der Temu neue Märkte erschließt, ist ein weiterer Grund für den Erfolg. In nur acht Monaten hat sich Temu zu einer global agierenden Plattform entwickelt. Ein europäisches Unternehmen hätte dafür Jahre benötigt. Temu wird von der PDD Holdings unterstützt, dem größten Online-Händler in China, der die Plattform Pinduoduo dort seit fast zehn Jahren betreibt.
Experten schätzen, dass Temu allein im letzten Jahr drei Milliarden Dollar für Marketing ausgegeben hat, wobei mehr als eine Milliarde davon an die Meta-Gruppe für Werbung auf Plattformen wie Facebook und Instagram geflossen sein soll. Das Ergebnis dieser offensiven Strategie ist leicht zu überprüfen: Einfach ein Produkt googeln, und Temus Angebot erscheint meist an oberster Stelle.
In Windeseile hat sich Temu zu einem der wichtigsten E-Commerce-Händler entwickelt. In der Schweiz belegt die Plattform den dritten Platz unter den beliebtesten Marktplätzen, hinter Digitec Galaxus und Zalando, laut einer Studie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften und der Post.
Temus Erfolg basiert jedoch nicht nur auf günstigen Preisen, unterhaltsamen Spielen und einem riesigen Werbebudget. Das Unternehmen operiert bewusst an den Grenzen der Legalität – und in manchen Perspektiven sogar darüber hinaus. Die EU-Kommission wirft Temu vor, Kunden zu schnellen Kaufentscheidungen zu drängen, indem Produkte als “nur noch wenige verfügbar” oder “bald ausverkauft” angezeigt werden, auch wenn das nicht der Fall ist.
Ein Sprecher von Temu erklärt: “Wir nehmen unsere Verpflichtungen im Rahmen des Digital Services Act sehr ernst.” Sie möchten “vollständig mit den Regulierungsbehörden zusammenarbeiten”, um “einen sicheren und vertrauenswürdigen Marktplatz” zu schaffen. Sie sind überzeugt, dass eine solche Überprüfung der Plattform langfristig zugutekommen wird.
Der Widerstand gegen Temu wächst auch in der Schweiz.